Der historische Roman Gil Gómez el insurgente o la hija del médico von Juan Díaz Covarrubias im Kontext der Nationenbildung in Mexiko

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“Pretender ser leído a la luz rojiza del incendio y al estruendo de los cañones”:

Der historische Roman Gil Gómez el insurgente o la hija del médico
von Juan Díaz Covarrubias im Kontext der Nationenbildung in Mexiko

(Inke Gunia, Universität Hamburg)

Vorbemerkungen:
Die folgenden Ausführungen zu dem Roman Gil Gómez el insurgente o la hija del médico1 verstehen sich als Beitrag zur Erhellung eines Zeitabschnitts der Geschichte der hispanoamerikanischen Literaturen, in dem die Bedeutungen der Poetiken, die dem Schreiben zugrunde liegen und ihre Beziehungen zueinander noch immer nicht ausführlich beschrieben worden sind. Damit ist jener Teil des 19. Jahrhunderts gemeint, der bis etwa zum Beginn der 1880er Jahre reicht. In diesem Zeitabschnitt werden verschiedene Schreibweisen praktiziert. Es findet sich die Orientierung an dem europäischen Klassizismus, der Romantik, dem Costumbrismo sowie dem Realismus. Die Rezeption des europäischen Naturalismus, die etwa in den 1880er Jahren beginnt, ist durch die Untersuchungen von Sabine Schlickers (2003) und Manuel Prendes (2003) gründlich erfasst worden2. Was hier interessiert, ist die Frage nach den an die Schreibweisen gebundenen Inhalten und Zielsetzungen im Rahmen der jeweils gültigen Funktionszuschreibung von Literatur.

Im Hinblick auf Schreibweise, Inhalt und Absicht des Romans Gil Gómez sind als Referenz die Poetiken der europäischen Empfindsamkeit, der französischen und spanischen Vor- und Früh-Romantik, des spanischen Costumbrismo und des französischen Realismus erkennbar, wobei der Autor die Praktiken des vor- und frühromantischen Schreibens am sichersten beherrscht.3 Die Protagonisten favorisieren Lektüren wie Goethes Die Leiden des jungen Werther (1774), Rousseaus La Nouvelle Héloïse (1761/ 1764), Bernardin de Saint-Pierres Paul et Virginie (1788), Chateaubriands Atala (1801) und René (1802), die frühen Verserzählungen Lord Byrons4 und Lamartines oder etwa die Lyrik von Meléndez Valdés. Auch strukturelle Nachweise für die genannten Poetiken lassen sich erbringen, in der Handlungsentwicklung, in der Zeichnung der Charaktere oder in der Beziehung zwischen den Charakteren und dem Handlungsraum. „Der historische Roman Gil Gómez el insurgente o la hija del médico von Juan Díaz Covarrubias im Kontext der Nationenbildung in Mexiko“ weiterlesen

  1. Alle Seitenangaben folgen der von Clementina Díaz y de Ovando besorgten Textausgabe: Juan Díaz Covarrubias (1959): „Gil Gómez el insurgente o la hija del médico. Novela histórica mexicana“, in: Juan Díaz Covarrubias: Obras completas. Bd. I. Estudio preliminar, edición y notas de Clementina Díaz y de Ovando. Mexiko: Instituto de Investigaciones Estéticas, UNAM, S. 145-326. []
  2. Schlickers (2003): El lado oscuro de la modernidad: estudios sobre la novela naturalista hispanoamericana. Madrid: Iberoamericana u. Prendes (2003): La novela naturalista hispanoamericana. Evolución y direcciones de un proceso narrativo. Madrid: Cátedra. Zur Romantik liegt das grundlegende zweibändige Werk Emilio Carillas vor. Es hat zum Teil kompilatorischen Charakter und liefert eine Fülle an wertvollen Primärtextverweisen. In seiner überarbeiteten dritten Fassung: (1975): El romanticismo en la América hispánica. Madrid: Editorial Gredos. Die Untersuchung von Mirta Yáñez hat essayistischen Charakter und widmet sich der Gattung der Erzähltexte (1989): La narrativa del romanticismo latinoamericano. La Habana: Editorial Letras Cubanas. Der von Graciela Batticuore, Klaus Gallo und Jorge Myers herausgegebene Sammelband (2005): Resonancias románticas. Ensayos sobre historia de la cultura argentina (1820-1890) ist kulturwissenschaftlich ausgerichtet und legt einen wichtigen Grundstein für die hier angestrebte Untersuchung. []
  3. Im April 1857 widmet Díaz Covarrubias seine unter dem Titel Páginas del corazón zusammengefasste Lyrik dem spanischen Schriftsteller der Romantik José Zorrilla. Zorrilla weilte zwischen 1854 und 1866 in Mexiko. In dieser Widmung präsentiert Díaz Covarrubias seine Dichtung als „Spiegel meines Herzens“ (cf. J. Díaz Covarrubias (op.cit.: Band I, S. 189-278). []
  4. Die Handlung hat das Jahr 1812 erreicht als Clemencia, dem Tode schon sehr nahe, Byron liest, und zwar „una de las primeras novelas de Lord Byron que acaba de aparecer“ (302). Der Erzähler spricht hier von einem „der ersten Romane Lord Byrons, der gerade erst erschienen ist“. Möglicherweise sind damit die ersten beiden „Cantos“ der Verserzählung Childe Harold’s Pilgrimage (1812) gemeint. Denkbar wären auch The Giaour (1814) oder Lara (1814). []