Krisenerzählungen – Das Jahr 2008 und seine Folgen in der spanischen Gegenwartsliteratur

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Die Jahre 2008 bis 2014 waren für Spanien geprägt von Inflation, Arbeitslosigkeit und dem Platzen der Immobilienblase. Die Depresión Económica Española oder auch nur La Crisis verursachte eine Jugendarbeitslosigkeit von zeitweise über 50%. Nun hat diese Krisengeneration zu schreiben begonnen – mit Folgen für die spanische Literaturlandschaft.

In der zeitgenössischen Literatur Spaniens tut sich etwas: Karin Janker spricht in der Süddeutschen Zeitung von einer „Prosa der verlorenen Generation“ (19.10.22), Victoria Eglau diagnostiziert im Deutschlandfunk die „Rückkehr des Politischen“ in der Literatur Spaniens (14.10.22) und Holger Heiman (ebenfalls DLF | 16.10.22) schreibt anlässlich der Frankfurter Buchmesse von einem „Verunsicherten Land“. Spanien ist dieses Jahr Gastland der wichtigsten deutschen Buchmesse und viele der zu diesem Anlass ins Deutsche übersetzten Romane erzählen von den Problemen, mit denen Spanien seit „La Crisis“ zu kämpfen hatte und zum Teil bis heute hat. Viele der damals jungen Generation wuchsen in dem Bewusstsein auf, dass es Ihnen nicht besser gehen würde als ihren Eltern. Explodierende Mieten, eine hohe Arbeitslosigkeit und ein zunehmend prekärer Arbeitsmarkt umgab eine Generation von Schriftstellern, die nun in Frankfurt mit ihren Werken vertreten sind.

Es gibt daher auf der Frankfurter Buchmesse […] eine politische Belletristik zu entdecken, deren Class-Writing-Ansätze deutschen Lesern zunächst befremdlich erscheinen mögen. Schließlich stand Deutschland damals auf der anderen Seite, bei denen, die „die Südländer“ kritisch beäugten. Lange glaubte man sich in Deutschland erhaben über derart romantisches Klassenbewusstsein, wie es in Spanien damals wiederauferstanden ist. (Janker 19.10.2022)

Der Schriftsteller Isaac Rosa erzählt in La habitación oscura von den goldenen Zeiten des Landes, in denen noch alles Aufstieg und Konsum versprach und wie diese Versprechen 2008 jäh gebrochen wird.

El escritor español Isaac Rosa
Author: Obra Social Caja Cantabria | (CC BY 2.0)

Es ist eine globale Krise, aber es gibt ein spanisches Kapitel, das hat mit der Immobilienkrise zu tun. Meine Generation musste die Erzählung, an die sie glaubte, dass wir in einer stabilen Demokratie leben, dass es uns besser geht als unseren Eltern und die Zukunft eine gute ist, revidieren. Das hat zu einer großen Desillusionierung geführt, zu Demonstrationen und zur Entstehung sozialer Bewegungen. (Rosa/ Heiman 16.10.22)

Unter dem Titel Im dunklen Zimmer ist sein Roman nun auch auf Deutsch zu lesen (Rosa/ Ruby 2022 FID Romanistik). Er handelt von einer Gruppe von Freunden, die das Geheimnis um ein dunkles Zimmer teilen. Sie treffen sich dort für anonymen Sex und genießen ansonsten ihre steigenden Kontostände und ein Leben voller Konsum. Als im Jahr 2008 die Krise kommt, wird das Zimmer zu einem Ort des Widerstands gegen den Kapitalismus, aber auch zu einem Ort des geteilten Leids und Zukunftsängsten – eine Metapher für ein Spanien, dass seine Mittelschicht verliert.

Durch die Pleite von Lehman Brothers kam es 2008 insbesondere zu einem rasanten Anstieg von Zwangsräumungen, viele Familien rutschten in die Arbeitslosigkeit, manche gar in die Obdachlosigkeit. Der spanische Lehrer und Autor Pablo Gutiérrez hat eine ganze Krisen-Trilogie vorgelegt, die bei Seix Barral erschienen ist. Das erste Werk Democracia (2012 FID Romanistik) erzählt die Geschichte eines jungen Angestellten, der 2008 nicht nur seine Arbeit, sondern auch seine Hoffnung verliert. Die Erfahrung der Armut befeuern seine Kreativität und der Protagonist wird zu einem urbanen Kunstterroristen verwandelt. Auch in dem zweiten Werk der Reihe verhandelt Gutiérrez die Möglichkeiten der Literatur als Auflehnung gegen ein kapitalistisches System, das unzählige Verlierer produziert. In Los libros repentinos (2015 FID Romanistik) geht es um eine ältere Witwe, der eine Kiste voller Bücher geliefert wird. Die Lektüre verändert ihre Sicht auf die Geschichte und Gegenwart Spaniens radikal.

Ich wollte zwar einen Roman darüber schreiben, was die Krise für die ganze Gesellschaft bedeutet, aber ähnlich wie für Marco, der rebelliert in dem er Gedichtverse an die Mauern seiner Stadt malt, war das Schreiben für mich ein Akt des Widerstands und eine Verteidigung dessen, was wirtschaftlich nicht rentabel ist. (Gutiérrez/ Eglau 14.10.22):

Gutíerrez lebt in einer kleineren Stadt im Süden Spaniens. Sanlúcar de Barrameda hat rund 70.000 Einwohner:innen und wurde vom Einbruch des Bausektors besonders hart getroffen. Die Arbeitslosenzahl lag im Januar 2010 bei 15.736 Personen (Wiki).  Eine Erfahrung, die auch die Schriftstellerin Ana Iris Simón gemacht hat.

Author: Archivo Fotográfico Universidad de Navarra (CC BY-SA 4.0)

Mit meinen 28 Jahren wurde ich schon drei Mal betriebsbedingt gekündigt, mein jetziger befristeter Arbeitsvertrag endet zwei Tage nach dem Geburtstermin meiner ersten Kindes. Ich habe weder Auto noch Hypothek, weil ich es mir schlicht nicht leisten kann. (Janker 19.10.22)

Simóns autobiografischer Roman Feria (2020 FID Romanistik) beschreibt die Entdeckung ihres konservativen Selbst als romantische Form des Antikapitalismus

Die einen Großeltern waren Bauern, die anderen Schausteller, die Sommer für Sommer die großen Jahrmärkte des Landes abklapperten. Einfache Leute, genau wie Simóns Eltern, beide Briefträger. Aber gerade deren Spießigkeit, die Einfachheit ihrer Entscheidungen (zieht man nach der Hochzeit zu den Eltern oder zu den Schwiegereltern?) ist es, die die Erzählerin am liebsten gegen die Perspektivlosigkeit des eigenen Lebens eintauschen würde. (Ebd.)

Die Aufarbeitung der krisenhaften Jahre  prägen die Gegenwartsliteratur. Sowohl etablierte als auch junge Nachwuchsautor:innen schreiben mit ihren Romanen politisch gegen einen Kapitalismus an, der das Aufstiegsversprechen einer ganzen Generation zunichtemachte.

Die Bücher sind im Katalog des FID zu finden unter fid-romanistik.de.

 

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