Bernhard Hurch, Christina Schlemmer (Universität Graz)
Seit zu Beginn der 1840er Jahre die Logistik des Postwesens den Herausforderungen der industriellen Revolution angepasst wurde, stand mit dem Medium Brief den Wissenschaften ein schnelles Kommunikationsmittel zur Verfügung, das für die Konstituierung der einzelnen Disziplinen und ihrer Institutionalisierung große Bedeutung hatte. Hugo Schuchardt, ein prominenter Vertreter der allgemeinen Sprachwissenschaft und Romanistik, der bei Schleicher in Jena und zu Diezens Zeiten in Bonn studiert hatte, spielte eine zentrale Rolle in diesem Prozess, der auch als Auseinandersetzung zwischen Philologie und Linguistik verstanden werden kann. Nahezu 60 Jahre lang war Schuchardt auch für viele weitere Fächer, zu denen er arbeitete, eine Instanz (Baskologie, Keltologie, Kaukasiologie, Sprachkontakt- und Sprachwandelforschung, Etymologie, ethnographische Linguistik / ‘Wörter und Sachen’); die Disziplin der Kreolistik verdankt maßgeblich ihm ihr Entstehen. Seine ca. 770 Publikationen geben ein beredtes Zeugnis seines Wirkens, sie sind unter anderem in dem ihm gewidmeten Archiv frei zugänglich.
Doch schon seit ca. 25 Jahren wird in verschiedenen Forschungsprojekten am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Graz der epistolarische Nachlass Hugo Schuchardts aufgearbeitet, kommentiert und digital zugänglich gemacht. Die Besonderheit dieses Briefwechsels ist sein Umfang (sein Nachlass umfasst ca. 14.000 Briefe, die Schuchardt erhalten hat), die Vollständigkeit vieler Korrespondenzen und die Kontinuität, die zusammen genommen bestimmte Diskussionsstränge über Jahre und Jahrzehnte hinweg in einzigartiger Form nachvollziehbar machen. Sehr häufig ist es gelungen, auch Gegenbriefe, d.h. jene Briefe, die Schuchardt geschrieben hat, aufzufinden. So konnten als Gesamtkorrespondenzen mit einem Umfang von bis zu über 500 Schreiben im Austausch mit dieser Persönlichkeit aufgearbeitet werden. Aus diesem Fundus eröffnet sich ein bislang unbekanntes und ungehobenes Potential, das Diskurse nachvollziehbar und die Entstehung von Wissen in der Fachgeschichte greifbar macht. Sämtliche Korrespondenzstücke sind über einen Thesaurus beschlagwortet, kontextualisiert und frei zugänglich. Dazu kommt die Aufarbeitung einer Reihe von weiteren forschungsrelevanten Materialien, die über die Webseite zur Verfügung gestellt werden bzw. in die elektronische Gesamtstruktur integriert sind (etwa biographische Dokumente, Unterlagen aus akademischen Berufungen und Verfahren, Gutachten u.a.), sowie die Erschließung der privaten Schuchardtschen Arbeitsbibliothek, die ursprünglich über 20.000 Schriften enthalten haben soll. Mittels Methoden der semantischen Netzwerkanalyse und -visualisierung soll es NutzerInnen ermöglicht werden, Fragen an das bereitgestellte Korrespondenznetz zu formulieren und dementsprechende Antworten zu erhalten.
Ein im Moment wichtiges Anliegen des Projektes ist die Erarbeitung von zukunftssicheren Formaten, die es erlauben sollen, dieses immense Datenvolumen auch für die Zukunft benutzbar zu erhalten. Wir sind im Begriff, eine Kooperation und Kompatibilität mit der umfassenden Datenbank des CorrespSearch-Projektes (angesiedelt an der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin) herzustellen.
Im Zuge dessen entsteht im Repositorium GAMS (Geisteswissenschaftliches Asset Management System), das auf geisteswissenschaftliche Forschungsdaten spezialisiert ist, die digitale Edition. Dem FAIR-Datenprinzip F(indable) entsprechend, erhalten alle zugehörigen digitalen Objekte einen Persistent Identifier (PID) in Form eines projektspezifischen Permalinks, der eine nachhaltige Datenarchivierung und eine Auffindbarkeit der Datensätze garantiert.
Sämtliche XML-Daten und von der Universitätsbibliothek Graz zur Verfügung gestellten Digitalisate sind Creative Commons BY-NC lizensiert und zur weiteren Bearbeitung und Verbreitung zu nicht-kommerziellen Zwecken und bei Namensnennung nutzbar (lt. FAIR A(ccessible)). Eine abweichende Nutzungserlaubnis wird in der Bildanzeige vermerkt.
Die I(nteroperability) und R(eusability) der Daten wird durch den im geisteswissenschaftlichen Kontext üblichen Textauszeichnungsstandard TEI sichergestellt. Durch das Abfragen dieser Datenbasis erfolgt eine Extraktion von RDF-Daten, wodurch eine Vernetzung der Ressourcen untereinander ermöglicht wird. Mit der CMIF Version v2 wird die Basisversion v1, die Metadaten zu Sender, Empfänger, Sendeort und Datum wiedergibt, zusätzlich um named entities wie Personen, Orte und Publikationen erweitert. Durch die Anreicherung der Metadaten wird eine Erweiterung des Suchraums der Edition wie auch von CorrespSearch realisiert, wodurch die Vernetzung der Korrespondenzressourcen eine höhere Ebene erreicht.
Mit der Übersetzung der derzeit nur in Deutsch gestalteten Nutzungsoberfläche ins Englische und Französische soll Schuchardts beeindruckende Korrespondenz (die in mehr als 20 verschiedenen und zum Teil nicht-indogermanischen Sprachen geschrieben ist) zumindest ansatzweise Rechnung getragen werden. Dadurch wird die Zugänglichkeit des gesamten Materials für NutzerInnen erheblich erweitert.