Kaffee-Welten: Netzwerke zwischen Norddeutschland und Zentralamerika

Kaffee ist nicht nur ein beliebtes Getränk und für viele Menschen unverzichtbarer Bestandteil des Alltags: Kaffee vernetzte auch unterschiedliche Welten. Über den Kaffee entstanden vielfältige Verflechtungen zwischen Norddeutschland und den kaffeeproduzierenden Regionen in aller Welt. Wirft man z.B. einen Blick auf die Landkarte der Grenzregion zwischen Mexiko und Guatemala finden sich dort Namen wie Germania, Hamburgo und Nueva Alemania. Welche Geschichten verbergen sich dahinter? Der Schlüssel zur Erklärung liegt in der Geschichte des Kaffeehandels.

Die Kaffeeanbauregion Soconusco in Chiapas Im Folgenden präsentiere ich Ergebnisse des von der DFG finanzierten Forschungsprojekts „Kaffee-Welten“, das im letzten Jahr an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg abgeschlossen wurde. Ziel des Projekts war es, die Handelsnetzwerke zwischen Norddeutschland und Zentralamerika und die Biographien der Akteure im Kaffeehandel zu erforschen.

Kaffee-Welten in Norddeutschland und Zentralamerika

Hamburg und Bremen waren als Hafenstädte die wichtigsten Zentren der deutschen Kaffeewirtschaft. Schnell ergriffen norddeutsche Kaufleute die Gelegenheit, mit dem Genussmittel Geschäfte zu machen. Sie schlossen sich in Hamburg im Verein der am Caffeehandel betheiligten Firmen zusammen, der in der Speicherstadt seinen Sitz hatte. Dort befand sich auch die 1887 gegründete Kaffeebörse. Hier schlossen die Händler Geschäfte ab, beobachteten die Preisentwicklung, tauschen Gerüchte aus und schmiedeten Allianzen.

Die Kaffeebörse in Hamburg In Zentralamerika bewirkten Kaffeeproduktion und Kaffeeexport eine ganz andere Dynamik: Kaffee wurde seit ca. 1830 in der Region angebaut. Von Costa Rica aus verbreitete sich der Anbau über die ganze Region. Für viele Staaten war Kaffee das wichtigste Exportprodukt: Von den Kaffeepreisen hing nicht nur der Staatshaushalt sondern auch die politische Stabilität ab, und die Kaffee-Eliten bestimmten das politische Geschehen. Zentralamerika hat für den internationalen Kaffeehandel eine besondere Bedeutung, da dort sog. gewaschene Kaffees produziert werden. Sie gewinnen durch die nasse Form der Aufbereitung ein besonderes Aroma und sind deshalb wichtig für die Herstellung von Kaffeemischungen.

Kaffee-Welten und deutsche Einwanderung

Im Zuge der Ausweitung der Kaffeeproduktion gelangten immer mehr deutsche Einwanderer nach Zentralamerika. Es handelte sich um kleine Einwanderergruppen von mehreren hundert bis tausend Personen, die aber großen Einfluss in der Kaffeebranche ausübten. In Costa Rica realisierte ein deutscher Einwanderer den ersten Kaffee-Export des Landes, und eine deutsche Familie war an der Gründung der ersten Kaffeemarke beteiligt.

Kaffee der Marke Joy & von Schröter, Costa Rica In Guatemala stellten deutsche Einwanderer Ende des 19. Jahrhunderts bereits einen Anteil von 30% an der Kaffeeproduktion. Als dort die Landpreise stiegen, überquerten einige deutsche Familien die Grenze nach Mexiko und erwarben Kaffeefincas in Chiapas. Die Exporte aus der Region gingen phasenweise zu 60% nach Hamburg. Der große Erfolg der deutschen Einwanderer lässt sich durch ihre direkten Verbindungen in die Zentren des Kaffeehandels, ihren einfacheren Zugang zu Krediten und ihr technisches Know-How erklären. Norddeutsche Kaffee-Akteure waren jedoch nicht nur in Kaffeeproduktion und Kaffeehandel aktiv, sondern spielten auch eine wichtige Rolle in Banken, Infrastrukturprojekten und Transportunternehmen.

Netzwerke und Biographien im Kaffeehandel

Die Handelsverbindungen beruhten auf persönlichen Beziehungen und Vertrauen, da die Kommunikation über die langen Entfernungen oft schwierig war. Der Einkauf erfolgte meist auf der Basis eines eingesandten Musters. Die Kaufleute mussten sich deshalb darauf verlassen können, dass die Lieferung Monate später tatsächlich in der gewünschten Menge und Qualität eintraf. Wenn einmal ein verlässlicher Partner gefunden war, hielten die Verbindungen oft lange Jahre. Die Netzwerke umspannten mehrere Kontinente und hatten einen transnationalen Charakter: Wichtige Bezugspunkte waren neben Hamburg und Bremen, London und die USA.

Anzeige in der Zeitschrift "Der deutsche Kaufmann im Auslande" Die deutschen Kaffee-Akteure reisten häufig zwischen Produktions- und Konsumregionen des Kaffees hin und her. Für ihre Nachfolger war es wichtig, einen Teil ihrer Ausbildung im jeweils anderen Teil der Kaffee-Welten zu absolvieren. Das Traditionsbewusstsein in der Branche war hoch, und üblicherweise wurde das Geschäft von einer Generation an die nächste weitergegeben. Ziel vieler Auswanderer war es zu schnellem Reichtum zu gelangen, der ihnen die spätere Rückkehr nach Europa ermöglichen sollte. Dies gelang vor allem der ersten Auswanderer-Generation im 19. Jahrhundert. Der Grund? Die Kaffee-Akteure gerieten im 20. Jahrhundert in einen Strudel wirtschaftlicher und politischer Krisen.

Netzwerke in Krisenzeiten

Kaffeehandel war schon immer ein krisenreiches Geschäft gewesen: Durch die langen Anbauzeiten, die hohen Investitionen sowie unberechenbare Veränderungen der Weltproduktion kam es immer wieder zu Preisschwankungen und Überproduktionskrisen. 1897 brach die erste, große Überproduktionskrise aus, die einen starken Preisverfall zur Folge hatte. In den folgenden Jahren erholten sich die Preise zwar wieder, aber es erfolgte ein Konzentrationsprozess in der Branche. Der Erste Weltkrieg unterbrach die Handelsnetzwerke für einige Jahre. Die politischen Umbrüche der Nachkriegszeit und die schlechte wirtschaftliche Lage bewirkten eine neue Auswanderungswelle aus Deutschland. Über 4.000 Menschen ließen sich in den Jahren der Weimarer Republik in Zentralamerika und Mexiko nieder. Dies führte zu einer sozialen und politischen Differenzierung in den deutschen Gemeinschaften.

Ab 1924 setzte eine wirtschaftliche Erholung ein, von der die zentralamerikanischen Länder deutlich profitierten. Sie konnten ihre Anteile auf dem deutschen Kaffeemarkt stark ausweiten. Bereits ab 1928 gab es jedoch erste Anzeichen für eine neue Krise. Noch vor dem Zusammenbruch der New Yorker Börse musste 1929 das staatliche Kaffee-Institut in Brasilien seine Pforten schließen. In den folgenden Jahren kam es zu vielen Pleiten, einem Rückgang des Handels und sozialen Unruhen in den Produktionsregionen. Die Weltwirtschaftskrise verschärfte die Konkurrenz und sorgte für Verschiebungen in den Netzwerkstrukturen.

Zerbrechende Netzwerke: Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 zerbrachen Handelsnetzwerke aus politischen Gründen. In Mexiko, Guatemala und Costa Rica gründeten sich seit 1931 Auslandsgruppen der NSDAP-AO, deren Aktivitäten für Konflikte unter den Deutschen sorgten. Jüdische Firmen wurden aus dem Kaffeehandel gedrängt.

Feier im Deutschen Klub in Costa Rica, 1936
Feier im Deutschen Klub in Costa Rica, 1936

Die USA beobachteten den wachsenden nationalsozialistischen Einfluss in Lateinamerika mit zunehmender Besorgnis. Nach Kriegsbeginn gerieten die deutschen Einwanderer in Zentralamerika ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit. Die USA übten Druck auf die lateinamerikanischen Regierungen aus, die Deutschen stärker zu kontrollieren, zu internieren und zu enteignen. Dies geschah einerseits aus sicherheitspolitischen Erwägungen und andererseits, um den wirtschaftlichen Einfluss der Deutschen in der Region auszuschalten. Kaffee war dabei ein zentrales Druckmittel. Insgesamt internierten die USA während des Zweiten Weltkrieges über 4.000 Deutsche aus Lateinamerika, darunter die meisten deutschen Kaffee-Akteure. Sie konnten erst in den Jahren zwischen 1946 und 1949 nach Zentralamerika zurückkehren.

Norddeutschland, Zentralamerika und Kaffeehandel – was ist geblieben?

Wie bereits zu Beginn angedeutet, lassen sich immer noch zahlreiche Spuren der Hamburger Akteure finden – nicht nur auf der Landkarte. Auch wenn es in den letzten Jahren zu einem starken Konzentrationsprozess in der Kaffeebranche gekommen ist, sind noch deutsche Nachfahren im Kaffee-Export aktiv. Einige von ihnen studierten in Deutschland oder arbeiteten eine Zeitlang in Hamburger und Bremer Kaffeefirmen. Auch viele der alten Kaffee-Fincas existieren noch: Einige sind mittlerweile in städtische Wohnviertel übergegangen, auf anderen wird der Kaffeeanbau nur noch als Hobby betrieben. Auf der Finca Hamburgo in Chiapas haben die Eigentümer ein kleines Kaffeemuseum eingerichtet, und die Finca für Touristen geöffnet.

Die Finca Hamburgo in Chiapas

Darüber hinaus werden mehrere staatliche Kaffee-Institute in der Region von deutschen Nachfahren geleitet. Die deutschen Nachnamen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Integration mittlerweile sehr weit fortgeschritten ist. Nicht alle der Kaffee-Akteure sprechen noch Deutsch, die meisten haben inzwischen die Nationalität des Einwanderungslandes ihrer Vorfahren angenommen oder besitzen die doppelte Staatsbürgerschaft.


Dr. des. Christiane Berth
Die Autorin arbeitet an der Universität St. Gallen in der Kulturwissenschaftlichen Abteilung (Lateinamerikanische und Internationale Geschichte).

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