Thomas Krefeld, Stephan Lücke
Forschung ist in ihrem Wesen kollaborativ: Denn Fortschritt gibt es nur auf der Grundlage des jeweils bereits verfügbaren Wissens. Im Hinblick auf die Kollaboration – die ja grundsätzlich in Kommunikation fundiert ist – haben sich nun in den letzten 15 Jahren die Rahmenbedingen vollkommen geändert: Es ist innerhalb weniger Jahre eine Gesellschaft entstanden, die explizit als Wissensgesellschaft bezeichnet wird, da sie im Privaten und im Öffentlichen die permanente und ubiquitäre Verfügbarkeit der digitalen Medien und damit einen praktisch unbegrenzten Zugang zum Wissen jeglicher Art voraussetzt.
Diese vollkommene Mediatisierung betrifft aber nicht nur den Wissenskonsum, sondern gleichermaßen die Wissensgenerierung durch Forschung, weil sie uns eine sehr breite, ortsunabhängige Kooperation ermöglicht. Ins Schlaraffenland sind die Forscher*innen damit freilich nicht gelangt, denn die Option auf Kooperation konkretisiert sich keineswegs automatisch. Sie erfordert vielmehr die Beachtung einiger elementarer Regeln, die seit kurzem mit dem Akronym FAIR benannt werden, die von einer wichtigen Initiative lanciert wurde (Link). Damit werden vier grundlegende ethische Prinzipien für die Wissenschaftskommunikation unter den Bedingungen der Neuen Medien identifiziert. Ihnen zufolge müssen Forschungsdaten
- F_indable (‘auffindbar’),
- A_ccessible (‘zugänglich’),
- I_nteroperable (‘kompatibel’),
- R_eusable (‘nachnutzbar’)
sein (Link). Die Anforderungen von drei (F, A, R) der vier Prinzipien zielen darauf ab, sowohl human readable als auch machine readable zu sein; sie gelten also sowohl für die Mensch-Maschine-Mensch-Kommunikation als auch für die Maschine-Maschine-Kommunikation. Das vierte Prinzip (I) gilt nur für letztere; es ist jedoch im skizzierten virtuell-medialen Rahmen zentral für den Fortschritt der Forschung. Denn es repräsentiert die Unverzichtbarkeit der technologischen Komponente und die Transformation der LESER zu interaktiven NUTZERn, die je nach den romanistischen Interessen auf einem Kontinuum zwischen hochspezialisiertem Expertentum und völliger Laienschaft abgebildet werden können. Die interaktiven Nutzer*innen nähern sich den Daten nicht nur lesenden Auges, sondern womöglich mit der Absicht, sie für eigene Forschungszwecke zu verwenden und dafür maschinelle ‘Erntehelfer’ (zum sog. harvesting) einzusetzen. Die FAIRness liefert nicht mehr und nicht weniger als die Grundlage eines Gesellschaftsvertrags, mit dem Forschung zu einer wirklichen res publica werden kann.
Die Operationalisierung der FAIR-Prinzipien erfordert jedoch ein komplexes Zusammenspiel von Forscher*innen, das heißt de facto von befristeter und deshalb mehr oder weniger prekärer Projektarbeit einerseits und andererseits von Institutionen, die Dauerhaftigkeit in Aussicht stellen können; das sind in allererster Linie die großen Bibliotheken. Die Entwicklung von Prozeduren für diese ganz spezielle Art der Kooperation gehört zu den aktuellen Herausforderungen der Forschung, die mit dem Ausdruck Forschungsdatenmanagement (FDM) bezeichnet werden. Damit sind wichtige Eckpunkte der Wissenschaftskommunikation im Web markiert, die den Horizont dieses Blogs abstecken. Ziel ist es, ausgehend von romanistischen Beispielen das Potential der FAIRness zu zeigen und zur Unterzeichnung dieses contrat social webbasierter Forschung einzuladen.
(Grundlage dieses Beitrags ist: Krefeld, Thomas / Lücke, Stephan (2020): 54 Monate. VerbaAlpina – auf dem Weg zur FAIRness, in: Ladinia, vol. XLIII, 139-155.)
3 Gedanken zu „FAIRness: ein contrat social für die Wissenschaftskommunikation im Internet“