El mal querer von Rosalía – Ein Pop-Album mit literaturwissenschaftlicher Relevanz

Rosalía

Es scheint beinah so, als sei sie aus dem nichts gekommen, und doch brachte Rosalía mit ihrem Album El mal querer (November 2018) den Flamenco in die höchsten Sphären der Pop-Musik. In diesem – von der Kritik in höchsten Tönen gelobtem – Konzeptalbum verbindet sie klanglich traditionelle Elemente des Flamencos, bzw. des Cante jondos mit aktuellen Strömungen des Pops wie Trap oder R‘n’B. Die Katalanin genoss eine jahrelange klassische Ausbildung an der Escuela Superior de Música de Cataluña und begann ihre Karriere in den Tablaos von Barcelona, jenen Bars in denen traditionell Flamenco im kleinen Kreis aufgeführt wird.

Rosalía Portait Auf welchem traditionsreichen Fundament ihre Arbeit steht, zeigt sich nicht nur im Klang, sondern vor allem in der Konzeption des sechstbesten Albums 2018 (New York Times). In den 11 Liedern erzählt sie eine tragische Liebesgeschichte, geprägt von Unterdrückung und Eifersucht, die sich so bereits im 13. Jahrhundert erzählt wurde. Rosalía verarbeitet Kapitelweise die Handlung des okzitanischen Le Roman de Flamenca.

 

La Flamenca

 
Einem unbekannten Versepos mit beachtlicher Historie: So wurde er 1834 von Gabriel Delessert in der Bibliothek von Carcassone entdeckt, jedoch ohne Deckblätter. Ohne einen Hinweis auf die Autorenschaft oder Titel zu finden, schickte der Finder das Papier zu Francois Raynouard – Mitglied der Académie Francaise und damals anerkannter Experte für provenzalische Literatur. Raynouard entdeckte in den Seiten dann die ca. 8000 achtsilbigen und gereimten Verse und veröffentlichte einige in den Notices et extraits des manuscrits. Mangels Titel benannte er den Ursprung der Auszüge einfach nach der Protagonistin der Erzählung „La flamenca“. Die erste umfassende Veröffentlichung des Romans haben wir allerdings dem berühmten französischen Romanisten Paul Meyer zu verdanken, der 1865 unter dem Titel Le roman de Flamenca – publié d’après le manuscrit unique de carcassonne traduit et accompagè d’un glossaire par Paul Meyer den Druck in Paris beauftragte (Chambers 1967: 490)

Inhaltlich geht es in dem Werk um eine klassische Dreieckskonstellation aus Ehemann Archambaut, Liebhaber Guillaume und Ehefrau Flamenca. Die Ehe zwischen Archambault, dem Herrn von Bourbon-l’Archambault, und der Protagonistin Flamenca steht von Anfang an unter schlechtem Vorzeichen (Malamente) wie ihr eine Wahrsagerin im ersten Kapitel (Augurio) prophezeit:

Der Mediävist Olson schrieb schon 1985 über den herrschsüchtigen Ehemann aus der Novelle: „Archambaud’s admiration for Flamenca develops a second disoriented kind of love. The conventional jealousy wich grows from his passion degrades him to a derelict state“ (Olson 1985: 11). Seine Perspektive erzählt Rosalía im dritten Lied ihres Albums: Pienso en tu mirá (cap. 3: Celos) wenn sie singt:

Me da miedo cuando sales
Sonriendo pa‘ la calle
Porque todos pueden ver
Los hoyuelitos que te salen

Y del aire cuando pasa
Por levantarte el cabello
Y del oro que te viste
Por amarrarse a tu cuello
Y del cielo y de la luna
Porque tú quieras mirarlo
Hasta del agua que bebes
Cuando te mojas los labios

Die Eifersucht treibt den Ehemann dazu, seine Flamenca in einen Turm zu sperren, den sie nur zur Messe verlassen darf. Dort allerdings trifft sie im Verborgen jede Woche ihren Liebhaber, der sich zu diesem Zwecke als Messdiener verkleidet in die Kirche schleicht. Mehr noch, er beauftragt Arbeiter, die einen Tunnel von der Kirche in seine eigenen Gemächer graben sollen und durch welchen Flamenca und er schlussendlich fliehen wollen. Nach einem heftigen Streit mit ihrem Ehemann „Flamenca swears by the saints that she will guard herself as well as Archaumbaud has guarded her” (Chambers, Frank. M 1967: 491)
An dieser wichtigen Stelle fehlt ein Teil, sowie auch das Ende nicht überliefert worden ist. Es offenbart sich aber auch das subversive Potential, auf das es Rosalía in ihrer musikalischen Interpretation ankam.
Anton M. Espadaler, Professor für mittelalterliche Literatur an der Universitat de Barcelona hat das Werk ins Katalanische übersetzt und ist erstaunt über die Darstellung der Protagonistin:

„Perdían [Flamenca und ihr Liebhaber Guillaume] la impureza original y debían, guiados por la inteligencia, acceder a todos los placeres del mundo sin conciencia de pecado. Algo de gran alcance porque esto anulaba la diferencia entre hombres y mujeres, los igualaba. Suponía una mirada diferente sobre la mujer, no pecaminosa sino de igualdad de condiciones. Eso significa una revolución extraordinaria”.

Möglicherweise habe dieser äußerst subversive Charakter tatsächlich mit Schuld daran, dass das Epos bis ins 19. Jahrhundert weitgehendst unbekannt blieb.
 

Castia gilòs

 
Gattungstheoretisch lässt sich das Werk als Prototyp der so genannten ‚castia gilòs’/ ‚castigo de celosos‘ einordnen, die im 13. Jahrhundert häufig im Sprachraum des Okzitanischen gesungen wurden. Es handelt sich um eine Untergattung der mündlich tradierten Gesänge, die so genannte Trovador von Hof zu Hof weitergaben. Im Gegensatz zum Mittelniederdeutschen Minnegesang jedoch, lassen sich in den okzitanisch- provenzalischen Texten die Autorenschaft so genannter Trobairitz nachweisen, also dem weiblichen Pendant der Sänger:

“Es allí donde, asegura Espadaler, aparece por primera vez la Trobairitz, la trovadora femenina occitana y se refiere a la protagonista que también compone como una muestra más de este refinamiento y nivel cultural que ella posee.”

 

„Doña Quixota“

 
In gewisser weise spiegele sich etwas der Trobairitz damit auch in der Interpretation Rosalias wieder. Jene Form weiblicher Ermächtigung scheint ein wichtiges Element ihrer Videos: Mal nimmt sie die Rolle eines Stiers ein, der in Form eines Motorrad über die jungen Toreros hinweg rast, mal brennt sie mit einer ganzen Gang an Motorradfahrerinnen die bedeutungsträchtigen Windmühlen in Brand. Die „Doña Quixota“ – wie die Zeit sie nennt – geht jedoch im Gegensatz zum literarischen Vorbild siegreich vom Platz.

 

 



 

Die komplexe Verknüpfung von Tradition und Moderne auf allen Ebenen des Kunstwerks El mal querer – im übrigen ihre Abschlussarbeit an der Musikhoschule – brachte ihr weltweiten Ruhm ein. Die letzte Koorperation mit J Balvin generierte beinah 200 Mio. Klicks und sie ist seit März in Pedro Almodóvars neuem Film „Dolor y Gloria“ an der Seite von Penélope Cruz und Antonio Banderas zu sehen.

 

Quellen

 

Balzer, J. (13. Feb. 2019): „Rosalía – Doña Quixota des Pop“, in: Die Zeit. (letzter Zugriff 21.05.19)
Chambers, F. M. (1967): „Flamenca“, in: Romance Philology, 20(4), pp. 489-500.
Olson, P. A. (1958): „Le roman de flamenca: History and literary convention“, in: Studies in Philology, 55(7), pp.489-500.
Winston, M. S. (10. Dez. 2018): „‘Flamenca’, los secretos subversivos de la novela medieval que inspiró a Rosalía ‘El mal querer’“. (letzter Zugriff 21.05.19)

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